Seit gefühlten Jahrhunderten sehe ich mir vor der Finalshow die Eurovision-Songtexte an, übersetze sie und stelle ein paar davon vor.
Ein neues Jahr, ein neuer Songcontest. Immer das Gleiche, ja, aber das Gleiche immer anders. Für den Textkritik-Start brauche ich aus Motivationsgründen dieses Mal einen sogenannten "Gute-Laune-Song", und gleich der erste Griff ins ... Archiv der ESC-Homepage bringt mir erfolgreich einen solchen. "Cake to Bake" aus Lettland, oder einfach "Backe, backe, Kuchen".
Bevor wir zum Refrain vorstoßen, der alles weitere Nachdenken auslöscht, gibt es interessante Strophen. Man muss sie sich vorher ganz nüchtern angucken, das Video lenkt zu sehr ab.
"Ich hab das Eis der Polarkappen geschmolzen,
hab die Jäger des verlorenen Schatzes gefunden,
einen Fall für das Genie aus der Baker-Street gelöst,
geholfen, den Central Park zu säubern.
Hab einen Plan für die chinesische Mauer gemacht,
ging in die Wüste, ließ es regnen,
hab einen blutigen Haitank durchschwommen,
fand Atlantis, nebenbei (Aber heute)."
Klingt alles erst einmal beeindruckend, aber es sind nur sehr beschönigende Schilderungen für eigentlich so banale Untätigkeiten. Es bedeutet im Grunde nur: Ich hab rumgesessen und Filme geguckt, Indiana Jonas, James Bond, Sherlock Holmes, die ganze Riege. Vielleicht auch ein bisschen gedaddelt, am Computer. Es heißt nicht mehr, als sich erfolgreich (mit klimaerwärmender Unterhaltungselektronik) abgelenkt zu haben von der wichtigen Aufgabe, die "die sogenannte" Realität zu lösen fordert: Einen Kuchen zu backen.
"Ich soll 'nen Kuchen backen, keine Ahnung, wie das geht
(Backe, backe, backe, backe einen Kuchen).
Ich soll 'nen Kuchen backen - und hab' das nie gemacht
(Backe, backe, back, backe einen Kuchen).
Sei nicht zu stolz, Kumpel, zögere nicht
und frag deine Mutter, wie es geht.
Wie man backt, wie man backt, einen Kuchen backt."
So weit ist es mir den jungen Erwachsenen also gekommen. Können nichts praktisches mehr, wegen der medialen Reizüberflutung natürlich. Man muss die Zivilisation von ganz unten wieder aufbauen, sich an die Realität trauen - einen Kuchen backen für die Freunde. So richtig Bock auf Backen kann der Sänger dann aber doch nicht haben, die konkrete Zubereitung macht er sich sehr einfach.
"Nimm etwas Teig, dazu etwas Liebe, ab in den Ofen und warten." Ob das wirklich schmeckt, darf bezweifelt werden. Aber die Geste zählt, das gilt auch für Ü30-Kinder, die nichts auf die Reihe kriegen.
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