Viel wurde in diesem Jahr wieder beklagt, dass die meisten Lieder englisch gesungen werden, und nicht in den Landessprachen. Selbst wenn die Lieder eigentlich in der Landessprache geschrieben wurden, oder “Original” in der Heimat Verbreitung gefunden haben. Italien, Montenegro und Portugal sind offenbar die letzten, die es noch in der eigenen Sprache versuchen. Großbrittanien natürlich ausgenommen. Und Frankreich, weil es bekannterweise nie eine gute Idee für Franzosen ist, englisch zu sprächön oder zu singön. Es gibt dazu mehrere Thesen aus meiner Perspektive:
-Wenn man in der Landessprache singt, verstehen genau nur die den Text, die nicht dafür abstimmen können. Das muss kein Nachteil sein. So ist der französische Text zum Lied “Schnurrbart” so bescheuert, dass sie ihn dankenswerterweise für sich behalten dürfen. Das mit den Bärten kann sogar Österreich besser, siehe Conchita Wurst.
-Wenn man den Text englisch übersetzt, könnten die den Text verstehen, die dafür abstimmen können. Da er aber nicht in deren Landessprache ist, außerdem schnell und mit ungeübter Sprachzunge gesungen, sowie mit Glitter, Bum-Bum und hervorgestreckten Sängerinnenbeinchen überlagert wird, versteht ihn gar keiner mehr. Das muss auch kein Nachteil sein.
-Üblicherweise beurteilt man ein Lied nach Text, Gesang und Begleitung, vielleicht noch dazu, wie die Aspekte ineinandergreifen.
-Durch die beschriebene Sprachverwirrung wird die Bedeutung des Textes weiter irrelevant. Oft ist er es sowieso gewesen, aber es verschärft sich, weil möglicherweise gut beobachtete Inhalte durch Übertragung in abgedroschene englische Pop-Phrasen weiter verdunkelt werden. Oh, Oh, Baby.
-Der Gesang und die Bühnenperformance bedingen sich. Je weniger der Gesang selbst stehen kann, muss der Sänger oder die Sängerin körperlich freigelegt werden, um vom Gesang abzulenken. Eignen sich die Körper der Sänger nicht zum Ausziehen, müssen die Körper der Showtänzer herhalten.
-Der Faktor Musik wird gleichfalls zur Nebensache, es gibt ihn seit Jahren nur noch in den Farben Eurodance-Pop, Maria-Carey-Gedenkgenudel und Kindergeburtstag.
-Logische Folge ist, am wahrscheinlichsten gewinnt ein Lied, bei dessen Entblätterung von Sänger und Sängerin der Pulsschlag des Betrachters etwas mehr steigt. Gute Chancen hätte zum Beispiel der spanische Beitrag, wenn sie (Ruth Lorenzo) das Video 1:1 zur Bühnenperformance umformen würde. Erste Einstellung, die nackigen Füße der Sängerin. Zweite Einstellung, die Sängerin im langen Kleid, das ihren wohl gerundeten Balkon betont, dritte Einstellung, das Dekolleté der Sängerin im langen Kleid im Detail. Vierte Einstellung, vom Regen nassgesprühte Sängerin (das Lied heißt “Im Regen tanzen”) im jetzt viel, viel kürzeren Kleid, die wild mit einem nass gesprühten Tänzer balgt, bei dem es auch ordentlich was zu gucken gibt. Dabei hebt er sie oft in die Luft, um Einstellung fünf, ihr Unterhöschen und die prachtvoll runden Hinterbacken vom hochgerutschten Kleid befreit einmal rundherum drehend zu präsentieren.
Dass hier weder der Text (Zusammenfassung: Tanzen im Regen, tanzen im Regen, wir hören nie auf, im Regen zu tanzen, im Regen zu tanzen, lass es Regen geben, Regen, Regen, tanzen, tanzen), noch die Musik eine Rolle spielen, zeigt sich auch daran, dass der Refrain offenbar musikalisch geklaut ist. Von Dieter Bohlen. Folgerichtig wurde die Sängerin bekannt durch die englische Castingshow Fickfaktor, tschuldigung, X-Faktor.
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