Direkt zum Hauptbereich

ESC-Liedtextkritik: Mama - Belgien

Von Belgien denkt man ja schon einiges, und kann sich noch alles mögliche mehr vorstellen, was man gar nicht denken will. Aber dass der diesjährige Beitrag dermaßen abgebrüht jede menschliche Vernunft in Frage stellt, um Punkte zu machen, ist fast schon bewundernswert. Das Problem ist erst einmal nicht der Text, sondern wer ihn singt. Axel Hirsoux scheint so um die Vierzig zu sein, seine Körperfülle ist beträchtlich. Er hat die Haare über den Geheimratsecken zusammengegelt und hatte aber wegen der Smokingsanprobe vielleicht keine Zeit mehr, sich zu rasieren.

“Ich komme nach Hause,
mein Herz ist gebrochen und ich brauche
behütete Zeit, 
ich brauche deine Liebe. 
Eine Hand, die mich hält, ein Herz, das heilt, eine Stimme, die mir hilft das durchzustehen, durchzustehen…”

An wen wendet er sich wohl, nachdem alles schief gegangen ist? Eine neue Angebetete, eine alte Freundin, ärztliche Hilfeangebote? Alles zusammen, er kehrt zurück zu seiner Mutter.

“Wenn auch die Hoffnung fehlt,
findest du Worte, es besser zu machen, mich besser zu fühlen.
Wenn ich genug habe, oh, wie habe ich es satt,
das Heulen und die Schmerzen, auf dich kann ich zählen, nur auf dich…”

Nur auf dich, only you, schön, wenn das innerfamiliäre Verhältnis so eng ist. Ist ja nichts dabei, für einen großen Mann, Heulen und zurück zu Mami. Das ist auch die neue Zeit, da geht das alles. Und noch viel mehr.

“Und wieder einmal, Mama,
bist du da für mich, Mama,
du bist mein Leuchturm,
meine Schulter, mein Schutz, mein Satellit,
ich bin schwach, du bist schön.”

Wie gesagt, der Text ist nicht das eigentliche Problem, aber dass ihn ein vierzigjähriger Nerd mit Kummerspeck im Smoking singt. Und dann noch in einer Stimmlage, für die selbst Heintje zu alt war. Und zu männlich. 

“Es ist nicht oft genug gesagt worden,
aber du bedeutest die Welt für mich, bist mehr als seelenverwandt
(nämlich blutsverwandt, könnte man schlaumeiern).
Und du solltest wissen, du solltest wissen,
dass ich dankbar und hoffnungsvoll bin, 
eines Tages genauso strahlen zu können…

Vermutlich hat irgendjemand in einer beteiligten Marketing-Abteilung in Belgien nach Genuss von zu viel Starkbier und kosmischer Strahlung bemerkt, dass ja einen Tag später in manchen Euro-Ländern “Muttertag” ist. Das ist unsere Chance, dachte der, und setzte das Unglück in Gang, das zu diesem grotesk misslungenen Beitrag geführt hat. Nur wenn man die Augen ganz fest zumacht, und nicht so gut englisch versteht, ist das Lied einfach nur langweilig.


So, man dachte, das wäre es schon. Nein, ich hab das offizielle Video eines Liveauftritts jetzt fast zuende angesehen. Seine echte Mutter sitzt mit im Publikum, daneben offenbar sein Freund, der großäugig mitsingt. Ihr Mund zittert, und natürlich wird sie auch in Kopenhagen dabei sein. Um ihrem Sohn die Hand zu halten, wenn erwartungsgemäß die Punkte ausbleiben.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Heiligabend mit den Brauseboys

Was ich mache, wenn ich nicht den Newsletter schreibe 1.) Eine Strichliste anlegen, wie oft ich das Wort Blitzeis im Radio höre. Überlegen, wie ich mit den Varianten "Blitzendes Eis", "Blitzkrieg", "Blitzer" und "geblitzt wird" umgehen soll. 2.) Pfefferkörner kaufen und in die Pfeffermühle bis zum Rand einkullern lassen, dann eine Brötchenhälfte mit Kassler und Käse belegen und mit Pfefferschrot schwärzen. Mich am frischen Duft der zerrissenen Splitter berauschen. 3.) Aus dem Fenster sehen. Auf der verbliebenen Schneedecke im Hof ist ein Vogel herumgelaufen, offenbar von schwerer innerer Verwirrung betroffen hat er stundenlang in vielfältigen Kreisen sein verstörendes Schneegemälde gemalt. 4.) Zeitung lesen und über Kopenhagen informieren. Der sudanesische Sprecher und "Bremser" heißt Lumumba Stanislaus Di-Aping. Die Ladezeit der Facebook-Fanseite von Thorsten Schäfer-Gümbel ist enorm. Er sagt: "Dem Schneckentempo

Brauseboys am 2.5. (20 Uhr) nebenan im REH mit Isobel Markus, Christoph Theußl und Hinark Husen

Kartenhaus (von Frank Sorge) Wenn man ein Kartenhaus baut, rechnet man ständig damit, dass es zusammenfällt. Es ist das Ziel der Beschäftigung, den unvermeidlichen Zusammensturz hinauszuzögern. Die Struktur des Kartenhauses ist nur die Visualisierung des Erfolges, je mehr Etagen es bekommt, je länger es hält. Zeit, Geduld und Geschick bekommen ein Muster, ein flüchtiges Gewebe, obwohl sie ja sonst so unfassbar sind. Dann macht jemand ein Fenster auf und es fällt zusammen. Ärgert man sich? Ja, weil es menschlich ist, und nein, weil man mit nichts anderem gerechnet hat. Warum mir das einfällt? Ach, einfach nur so, kein Bezug zur Gegenwart. Nein, ehrlich, oder seht ihr einen? Kartenhäuser baut man, um Zeit totzuschlagen, heute hat man die doch gar nicht mehr. Heute ist man erwachsen und baut andere Strukturen, mit anderen Zwecken, als dass sie zusammenfallen. Was mit Grundlage und Substanz, aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse. Also ist es kein Problem, bei diesem Wetter überall die

Brauseboys am 9.5. (20 Uhr) mit Mimi Wohlleben im Haus der Sinne

Fern (von Frank Sorge) Was tut am Fern so weh? Wenn ich meinen Wedding seh, dann ham wir doch alles  und keinen Mangel im Speziellen.   Solang uns die BVG nicht im Stich lässt, erreicht man noch den ganzen Rest des Planeten zu jeder Tageszeit.   Ja, so jubeln die Stadtteilpoeten. Es ist immer ne Kneipe offen und ein Späti im Morgengrauen.   Türkische Backwaren warm aus dem Ofen, Fische aus fremden Ozeanen, Importmärkte aller Couleur.   Hier ist so viel Ferne,  die gibt’s woanders gar nicht. Wo kann es dich hinziehn, als immer nach Berlin? ­ Brauseboys am Donnerstag, 9.5. (20 Uhr) mit Mimi Wohlleben   Haus der Sinne (Ystader Str. 10)   Ein wenig Sommergefühl tut unserer Stadt immer gut, aber die Phasen der Abkühlung sind auch wichtig. Da es absehbar weniger kühle Tage im Jahr werden, steigt sogar deren Bedeutung zur Erholung für Körper und Geist. Idealerweise sind derlei Tage mit einer inspirierenden Kulturveranstaltung gekrönt, die mit innerer Wärme ausgleicht, und was sollen wir sage