Eurovision-Liedtextkritik: Richtig falsch - Deutschland (von Frank Sorge)
"Er hat einen Stift in der Hand,
ein Blatt Papier starrt zurück.
Er kann wie ein Mann schreiben,
ein Romanleben, ganz auf Spur.
Vielleicht ein Drama, oder ein Gedicht,
er weiß es immer noch nicht.
Die Zeit tickt im Ohr,
die selige Ruhe ist weg."
Ich habe eine Zigarette in der Hand, neben der Tastatur, ein Bildschirm starrt zurück. Vom deutschen ESC-Beitrag der Sängerin Elaiza hatte ich bisher nichts mitbekommen, lange vorbei die Lena-Zeiten, in denen man nicht daran vorbeigekommen ist. Der arme Poet hier im Lied will jedenfalls etwas schreiben, und weiß nicht was. Der Ärmste. Und nicht nur, dass er sich nicht entscheiden kann, in welcher Form er eigentlich schreiben möchte, er möchte das auch besonders männlich tun. Und fällt besonders männlich in ein existentielles Fragenloch.
"Ist es richtig? Ist es ein Fehler?
Ich kann nicht weitermachen! Du kannst nicht weitermachen!
Wenn du ja sagst ... oder sogar nein,
weißt du nicht, wie und wohin du gehen sollst."
Ich falle gleichfalls in ein existentielles Loch aus Fragen. Worum geht es denn jetzt plötzlich, um Trennung?
"Sie dreht sich um und sieht ihn an,
sie versucht etwas zu fühlen, aber fühlt nichts.
Aber es ist trotzdem schwer, Abschied zu nehmen,
auch wenn man weiß, dass es richtig ist."
Tatsache. Aber warum? Was bedeutet das alles? Das Video ist auch nicht hilfreich, ein Pantomime mimt den armen Poeten, sonst guckt die Sängerin nur streng in die Kamera und presst ihre zunehmend wirren, englischen Zeilen heraus. Vermutlich guckt sie so angestrengt, weil sie sich selbst nicht erklären kann, was sie da eigentlich singt.
"Es ist nicht einfach, sich zu entscheiden,
die eigene Richtung zu finden.
Oh, das Risiko ist hoch,
aber du kannst dich nicht verstecken."
Textlich muss sich der deutsche Beitrag dieses Jahr definitiv verstecken, ganz klein irgendwohin, wo ihn niemand findet. Ihn englisch zu singen, scheint schon die erste Verschleierungstaktik zu sein, damit dem Inhalt niemand folgen kann. Die Pointe scheint darin zu bestehen, dass es, was auch immer, dann doch geht: "Ich kann doch weitermachen! Du kannst doch weitermachen!" Man hätte lieber, sie würden damit aufhören. (Alle Liedtextkritiken hier)
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Donnerstag, 8.5. /20.30 Uhr
La Luz (Oudenarder Str. 16-20)
Die Brauseboys - frische Texte
Jeden Donnerstag nehmen Paul Bokowski, Robert Rescue, Frank Sorge, Volker Surmann und Heiko Werning ihre frisch geputzten Tastaturen und lassen es klappern. Die empfohlene Wochendosis Lesebühne, seit elf Jahren jeden Donnerstag mit illustren Gästen.
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