Direkt zum Hauptbereich

Ich schreibe einen Roman (25)


Das ist sie: Die vielleicht folgenschwerste Unterschrift meines Lebens. Jetzt geht es nicht mehr zurück. Nun bin ich Romancier (i. Druck). *Schluck!*
Zuvor kehrte der Roman-Bumerang ein letztes Mal zurück. Der Korrekturleser hatte zugeschlagen. Mein Job war es, seine Korrekturen zu überprüfen, und alles, was mir dazu noch einfiel, meinem Verleger gestern während eines gut achtzigminütigen Telefonats in seine Satzdatei zu diktieren.
Was man plötzlich recherchiert! Der Korrekturleser meint, Tauben hätten keine "Zehen" sondern "Krallen". Und plötzlich klickt man sich eine halbe Stunde durch diverse ornithologische Wikipedia-Artikel. Aber nein, die Einträge zu "Tauben" und "Vogelskelett" besagen unabhängig voneinander: Die Dinger, die Flugratten unten an den Beinen haben, nennt man tatsächlich "Zehen", drei vorne, eine hinten. "... und aus 'zweikrallige Einbeintaube' machst du bitte wieder 'zweizehige Einbeintaube' ..." - Wie sich mein Verleger dabei fühlte, ist nicht überliefert.
Der Korrekturleser war ansonsten sehr beflissen, extrem ordentlich und medizinisch-psychologisch geschult. Er belehrte mich, dass ein "Katarrh" "eigentlich ne Schleimbeutelentzündung ist"; und wo ich "Unterbewusstsein" schrieb, korrigierte er brav und psychologieterminologisch höchst korrekt auf "Unbewusstes". Aber ich bin jeweils lieber beim alltagssprachlichen Gebrauch geblieben.
Aber sonst hat der Korrektor super Arbeit geleistet, die mir manchmal die schriftstellerische Schamesröte ins Gesicht trieb*. Er hat herausgefunden, dass ich einen Roxette-Titel** zitiere, den es gar nicht gibt. Neben den Satz "Ein paar Momente später standen Yannick und Laura im Flusspferdhaus." schrieb er mit unbestechlicher Logik: "Da stehen sie aber schon das ganze Kapitel." - Oops!
Auch eine wunderschöne Stilblüte hat er neu entdeckt: "Er verhaarte an einer Weggabelung." Offensichtlich wehten ihm Frisuren ins Gesicht, vermutlich ein Föhn-Wind. Ich sollte mich weniger mit Frisörsalon-Namen beschäftigen ...
Nur, was ein "Alien von Tunteigeuze" sein soll, wusste mein Korrekturleser nicht, und die Worte "Binder" (für Krawatte), "Schwatter" (für Farbiger) und "Dönekes" (für Dönekes) kannte er nicht.

Zum Wahnsinnigwerden ist übrigens die neue Rechtschreibung. Nachdem sie verbindlich wurde, habe ich mich immer für sie ausgesprochen. Allein, so ganz genau weiß man ja doch nicht, wofür man da eigentlich ist. Leider weiß das die neue Rechtschreibung selbst nicht so genau. Das, was ich mir mühsam beigebracht habe, ist nämlich schon wieder veraltete, neue Rechtschreibung. Denn was nach Die deutsche Rechtschreibung von Bertelsmann (1999) richtig ist, ist nach der neusten Ausgabe des Duden (2009) schon nicht mehr richtig.
z.B. "kennen lernen"
Alte Rechtschreibung: kennenlernen
Neue Rechtschreibung (1999): kennen lernen
Neue neue Rechtschreibung (2009): kennenlernen
Leider lernt meine Romanfigur viele Leute kennen. Und zu "Small Talk" (neue neue Rechtschreibung) kommt es nie, weil ich doch "Smalltalk" (alte neue Rechtschreibung), aber durchaus noch erlaubt) überzeugender finde. AAARRRGGGHHH!

Mit der heutigen Unterschrift habe ich all das hinter mir gelassen. Juché!

* Was das ist? Eine ungesunde Gesichtsfärbung, die dann auftritt, wenn einem gewahr wird, was für Blödsinn man zu Papier gebracht hat.

** Bevor der geneigte Leser dieses Blogs böswillige Mutmaßungen über meinen Musikgeschmack anstellt: Nein, ich höre selbstredend kein Roxette. Aber eine Romanfigur hört es. Ansonsten hört man in meinem Roman:
Joy Division, Sisters Of Mercy, The Lassie Singers, Michelle, MGMT, Helge Schneider und Andreas Gryphius.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Heiligabend mit den Brauseboys

Was ich mache, wenn ich nicht den Newsletter schreibe 1.) Eine Strichliste anlegen, wie oft ich das Wort Blitzeis im Radio höre. Überlegen, wie ich mit den Varianten "Blitzendes Eis", "Blitzkrieg", "Blitzer" und "geblitzt wird" umgehen soll. 2.) Pfefferkörner kaufen und in die Pfeffermühle bis zum Rand einkullern lassen, dann eine Brötchenhälfte mit Kassler und Käse belegen und mit Pfefferschrot schwärzen. Mich am frischen Duft der zerrissenen Splitter berauschen. 3.) Aus dem Fenster sehen. Auf der verbliebenen Schneedecke im Hof ist ein Vogel herumgelaufen, offenbar von schwerer innerer Verwirrung betroffen hat er stundenlang in vielfältigen Kreisen sein verstörendes Schneegemälde gemalt. 4.) Zeitung lesen und über Kopenhagen informieren. Der sudanesische Sprecher und "Bremser" heißt Lumumba Stanislaus Di-Aping. Die Ladezeit der Facebook-Fanseite von Thorsten Schäfer-Gümbel ist enorm. Er sagt: "Dem Schneckentempo

Brauseboys am 2.5. (20 Uhr) nebenan im REH mit Isobel Markus, Christoph Theußl und Hinark Husen

Kartenhaus (von Frank Sorge) Wenn man ein Kartenhaus baut, rechnet man ständig damit, dass es zusammenfällt. Es ist das Ziel der Beschäftigung, den unvermeidlichen Zusammensturz hinauszuzögern. Die Struktur des Kartenhauses ist nur die Visualisierung des Erfolges, je mehr Etagen es bekommt, je länger es hält. Zeit, Geduld und Geschick bekommen ein Muster, ein flüchtiges Gewebe, obwohl sie ja sonst so unfassbar sind. Dann macht jemand ein Fenster auf und es fällt zusammen. Ärgert man sich? Ja, weil es menschlich ist, und nein, weil man mit nichts anderem gerechnet hat. Warum mir das einfällt? Ach, einfach nur so, kein Bezug zur Gegenwart. Nein, ehrlich, oder seht ihr einen? Kartenhäuser baut man, um Zeit totzuschlagen, heute hat man die doch gar nicht mehr. Heute ist man erwachsen und baut andere Strukturen, mit anderen Zwecken, als dass sie zusammenfallen. Was mit Grundlage und Substanz, aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse. Also ist es kein Problem, bei diesem Wetter überall die

Brauseboys am 9.5. (20 Uhr) mit Mimi Wohlleben im Haus der Sinne

Fern (von Frank Sorge) Was tut am Fern so weh? Wenn ich meinen Wedding seh, dann ham wir doch alles  und keinen Mangel im Speziellen.   Solang uns die BVG nicht im Stich lässt, erreicht man noch den ganzen Rest des Planeten zu jeder Tageszeit.   Ja, so jubeln die Stadtteilpoeten. Es ist immer ne Kneipe offen und ein Späti im Morgengrauen.   Türkische Backwaren warm aus dem Ofen, Fische aus fremden Ozeanen, Importmärkte aller Couleur.   Hier ist so viel Ferne,  die gibt’s woanders gar nicht. Wo kann es dich hinziehn, als immer nach Berlin? ­ Brauseboys am Donnerstag, 9.5. (20 Uhr) mit Mimi Wohlleben   Haus der Sinne (Ystader Str. 10)   Ein wenig Sommergefühl tut unserer Stadt immer gut, aber die Phasen der Abkühlung sind auch wichtig. Da es absehbar weniger kühle Tage im Jahr werden, steigt sogar deren Bedeutung zur Erholung für Körper und Geist. Idealerweise sind derlei Tage mit einer inspirierenden Kulturveranstaltung gekrönt, die mit innerer Wärme ausgleicht, und was sollen wir sage