Ablenkungen (von Frank Sorge)
Eine der größten Herausforderungen unserer Zeit ist wohl, sich nicht... ist es schon soweit, dass ich Menschen nicht mehr kenne, die tagelang Schlagzeilen machen? Was soll diese Wollmütze, wer ist das, geh weg aus der Timeline, eigentlich wollte ich... obwohl, dann muss ich ja Meldungen aus Russland lesen, Propaganda zum Frühstück. Putins Gesicht ist gar nicht mehr zu ertragen, blasierte Fratze, lebende Versteinerung. Nicht hingucken versus genau hinschauen. Aufmerksamkeitsdilemma: Man will das (Schimpfwort bitte eigenständig ergänzen) nicht beachten und beißt sich so fest an dem Gedanken, dass man nur noch über das (Schimpfwort ergänzen) nachdenkt. Ignorieren beste Idee und schlechteste Idee, Menschen mit Waffen ignoriert man nicht. Wahrscheinlich auch amerikanisches Dilemma - bin ich noch wer ohne meine Waffe? Antwort aber einfach, ja, solange man die Frage überhaupt noch stellen kann, ist man wer, nämlich lebendig und nicht erschossen. Mit Nachrichten kann man sich nicht konzentrieren, aber macht man sie aus, muss man Emails lesen. Die ersetzen jetzt den Drosten-Podcast und den täglichen Blick auf Corona-Zahlen, Postfach voller Positivmeldungen der negativen Art und zur Krönung Long Covid bei Jugendlichen, aber nicht als Zahl, sondern als Namen, die man kennt. Da verliert man vollends den Faden einer stringenten Idee und erinnert sich nicht mal, wo man losgelaufen ist, wo die Reise hingeht. Reisen wäre schön, weg von allem, aber das mit dem Mars dauert noch, muss man sich gedulden.
"Als ich in eurem Alter war", sage ich den Kindern, "gab es kein Internet, keine Handys, keine Tablets, keine Spielekonsole." Sie glauben mir, aber können dennoch nie nachvollziehen, wie das war. Ablenkungen gab es trotzdem genug. "Die Sonne", ergänze ich lächelnd, "die gabs aber schon."
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Donnerstag, 23.6. /20 Uhr
Kulturfabrik Moabit (Lehrter Str. 35)
Die Brauseboys am 23.6. im Windlicht: Open Air mit Marco Tschirpke
Berliner Pflanzen können aufatmen, es kam mal wieder nass von oben. Das macht uns natürlich skeptisch, was den Donnerstag betrifft, ob uns nicht doch mal ein Wassertröpflein aufs Stirnchen pieseln könnte, oder unsere frisch ausgedruckten Texte durchweicht und aussehen lässt, als würden die Buchstaben weinen. Aber da muss das Wetter früher aufstehen, wir sind ja nicht nur Brause-, sondern auch Schlauboys. Mit der Magie der Meteorologie werden wir eine zutreffende Vorhersage hervorzaubern und den dicken Wolken einfach von drinnen im Slaughterhouse eine Nase ziehen, wenn sie denn kommen. Derzeit sagen unsere Kristallkugeln allerdings einen heißen Sommertag voraus, und Kurze-Hosen-Warnstufe 1. Bitte denkt daran, euch der Freiluftsituation entsprechend an- oder auszuziehen. Draußen wie drinnen gelten unsere eigenverantwortlichen Coronaregeln: 'Kontrolliert euch bitte selbst, gewissenhaft, kommt nicht positiv, und es ist ausdrücklich erlaubt, Maske zu tragen!'. Diese Woche begrüßen wir die Legende des Lapsusliedes: Marco Tschirpke.
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