Mancher Weddinger schafft es ja garnicht vor die Tür oder nicht weit darüber hinaus. Gerade in diesen verschneiten Wochen wird für jeden spürbar, warum für dieses Verhalten ein vielfältiger Kiez viel wert ist. Drei Schritte zum Einkaufen, ein Schritt ins Restaurant, fünf Schritte ins Kino, so ist ein plötzlicher Erfrierungstod auf dem Weg ausgeschlossen. Die zwanzig Schritte bis zum Plötzensee und in die Rehberge erscheinen allerdings vielen schon zu risikoreich, hier also ein kleiner Erfahrungsbericht vom Nachmittag.
Willkommen im Ghetto Wedding, der Doppelhausnarbe der Stadt, dem Hochgeklappter-Gehweg-Slum, wo voll die krass kleinen Hunde an der Leine ausgeführt werden. Voll die verruchte Ecke, Mann, Tangastraße. Tanga-straße, verstehste?
Gleich hinter einer der härtesten Ecken des Stadtteils liegt der Goethe-Park. Im Verlauf der kleinen Berliner Eiszeit haben die an- und abschwellenden Schneemassen schwere Findlinge hinterlassen. Im Vergleich zum großen Bruder "Central Park" gibt es hier wirklich alle Drogen nicht, nicht mal einen Imbiss mit braunen Flaschen.
Wenn Ihnen dieser Goethe etwas verschwommen vorkommt, setzen Sie jetzt ihre Rot-Blau-Brille für die dreidimensionale Betrachtungsweise auf. Aber auch ohne ist zu erkennen, dass es Goethe hier früher auch nicht leicht gehabt haben wird. Gründe vermutlich siehe oben.
Nun aber zum Kernstück der kleinen Reise, die aus gesundheitlichen Gründen zur Nachahmung empfohlen wird. Nicht nur braucht man bei dieser Bewölkung mehr als eine halbe Stunde direktes Sonnenlicht täglich, um sich nicht in absehbarer Zeit in einen grauen Grottenolm zu verwandeln. Auch die frische Luft ist wichtig, wie meine Yoga-Lehrerin vor ein paar Tagen bestätigte: "Wenn da überall immer ausreichend frischer Sauerstoff hinkommt, bleibt man gesund." Die passenden Atemübungen kann man hier auch erledigen, ohne von jemandem skeptisch beäugt zu werden, denn hier ist garkein anderer jemand, solange man nicht in Folge der Übungen selbst neben sich steht.
Wenn man den Goethe hinter sich gelassen hat, betritt man die Rehberge und ist mit ein paar flinken Schritten schon am hier zu sehenden Rosengarten und mit einem eleganten Sprung direkt auf dem Plötzensee.
Hier ist er, der Schneesee. Ich steh drauf und geh nicht unter. Drunter frieren Fische.
Das Strandbad Plötzensee. Man kann hier wohl grad keinen Strandkorb mieten oder Pommes in der Tüte erwerben.
Wenn man den frischen Schnee mit archäologischem Interesse beiseite schiebt, findet man Spuren einer ausgeprägten Schlittschuhkultur. Es war also nicht immer so leer auf dem See wie heute.
Generationen von Weddingern müssen auf diesem wohl bestplazierten Wickeltisch der Stadt erst noch gewickelt werden. Kommt her, ihr Seestraßler, Belgischviertler und Niederlandsvirtler, ihr Soldiner und Sprengelkiezler und all die anderen. Und trefft euch zu diesem Zwecke, der immer schon der beste aller Zwecke war. Auch gesund.
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