Ein offenes Ohr (von Frank Sorge)
Zwei junge Frauen unterhalten sich in der Straßenbahn, sie stehen an einem Ausgang. Ich belausche übrigens keine Gespräche im öffentlichen Nahverkehr, sie drängen sich an mein offenes Ohr. “Dieser Typ, weißt du, ich hasse den voll!”
Auf mich zeigt sie nicht, sie meint jemand anderes, jemand Vertrautes, vielleicht von der Arbeit. Keine Ahnung, was er gemacht hat oder macht, vermutlich das, was viele Männer gegenüber jungen Frauen gut können: unangenehmes Anmachen, Runterputzen, Glotzen.
“Ich hasse den so, Digga, das glaubst du nicht.”
Ich glaube ihr, fürchte aber, dass die strukturellen Probleme dahinter nicht so schnell verschwenden werden. Selbst, wenn sie ihn abserviert, oder die passenden Grenzen aufzeigt, oder die Kommunikation einstellt, kommt da immer wieder jemand, der sich als Hassobjekt eignet. Hass ist eine Spirale mit eigenem Kausalmotor: Du hast mich angemacht, ich hab dich beleidigt, du beleidigst, ich hasse, du hasst. Diese Kreisläufe muss man doch auch irgendwie unterbrechen können, nicht, weil man sonst mitverantwortlich wird an der Eskalation, sondern für den eigenen Blutdruck und damit sie ins Leere laufen. Die junge Frau schaut aus dem Fenster, ihre Augenbrauen hochgezogen, ihr Kessel dampft, sie sieht sich in der Straßenbahn um.
“Ach, weißt du? Eigentlich hasse ich alle Menschen!”
Die Freundin nickt, sie steigen aus.
Brauseboys am Donnerstag, 10.10. (20 Uhr) mit Daniela Böhle und Karl Neukauf
(Ystader Str. 10)
Puh, ganz schön anstrengend so ein Marathon. Jedenfalls sieht es so aus, wenn man Fotos von Leuten sieht, die Marathon gelaufen sind. Letztens auch in der U-Bahn, während andere erst verschlafen zu kulturellen Entspannungsübungen aufbrachen, da lagen sie alle live und schlaff auf den Sitzen mit ihren Medaillen. Von ganzem Herzen Glückwunsch allen, die sowas schaffen! Wir sind doch insgesamt eher auf der Kurzstrecke unterwegs, mal schnell rüber in den Prenzlauer Berg und so, oder dem Tram-Ersatzverkehr hinterherrennen, mehr ist nicht drin. Dann erstmal ein Kaffeepäuschen und über die nächste Kurzgeschichte sinnieren, kein Romanmarathon, sondern ein kleines, bissiges, fleischfressendes Pflänzchen fürs Fensterbrett. Die tragen wir dann Donnerstag für Donnerstag ins Haus der Sinne und präsentieren sie stolz den Freunden der Biologie. Unsere Gäste sind Daniela Böhle und Karl Neukauf, wir freuen uns schon immens.
Diese Woche auf der schönen Kellerbühne, leider nicht barrierefrei!
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