17 Jahr, langes Haar (von Frank Sorge)
Was habe ich gedacht, als ich siebzehn war? Vermutlich: Wann werde ich endlich achtzehn! Oder ich dachte das nicht, denn natürlich wusste ich, wann es soweit sein würde. Aber vielleicht hielt ich es noch für möglich, allein durch Gedankenkraft Zeit und Raum zu krümmen, damit der nächste Geburtstag schneller herankommen würde. Womöglich dachte ich das aber auch nicht, denn mir wird schon klar gewesen sein, dass man aus etwas nicht weniger macht, wenn man es zusammendrückt, und nicht mehr, wenn man es dehnt. Damals presste ich zum Beispiel gelegentlich Toastscheiben, faltete sie ein, presste wieder, der kleine Würfel sah dann natürlich weniger aus als die Toastscheibe. Warf man ihn sich in den Mund, bekam man das aber auch nicht schneller runter, als wenn man die fluffige Scheibe in ein paar Bissen vertilgt hätte. Nur als Beispiel, falls jemand skeptisch ist, wie viel der Siebzehnjährige vom Universum verstanden haben kann.
Mit siebzehn stand ich oft vor dem Bahnhof Baumschulenweg und rauchte, bevor ich weiterfuhr. So kam ich mehrmals ins Gespräch mit einem Trotzkisten, der vor dem Bahnhof seine Trotzkistenpostille anpries. Worüber wir uns unterhalten haben, weiß ich nicht mehr, außer über Trotzki, aber das Blatt nahm ich mit, schaute nach und konnte dem menschlichen Exemplar in seiner ideologischen Erscheinung einen Namen geben. Ich glaube, er wollte mich missionieren, und weil ich nicht wegrannte, glaubte er an eine Chance, mich zu überzeugen. Irgendwann rückte er damit heraus, dass er mir einen Parteibeitritt abringen wollte, aber da hatte ich ein Schutzschild, das ich in diesem Moment dankend hervorholte. "Ich kann mir das gerne überlegen, aber ich bin noch nicht volljährig", sagte ich. Da ahnte er vielleicht, dass die Mühe umsonst gewesen war. Denn wenn jemand so etwas freiwillig vorbringt, statt sich darin zu sonnen, für älter gehalten zu werden, konnte da etwas nicht stimmen.
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Donnerstag, 6.10. /20 Uhr
Kulturfabrik Moabit (Lehrter Str. 35)
Die Brauseboys am 6.10. im Slaughterhouse mit Hinark Husen: 17 Jahr, graues Haar
Auch in diesen Zeiten kann man optimistisch sein, oder in Feierlaune. Es ist bei uns außerdem ein gewisser Feierstau aufgetreten, hauptsächlich weil ein gewisser Virus aufgetreten ist, so dass ein paar Jubiläen verschoben werden mussten. Jetzt stapeln sie sich schon und müssen alle mal raus, also machen wir drei Feierwochen, in denen drei Jahre komprimiert sind, wir feiern die 17, 18 und 19. Nicht nur fand der Deutsche Literaturfonds die Idee gut und unterstützt uns in diesem Vorhaben, wir selbst finden sie auch gut und haben uns zum Anlass die ehemaligen Brauseboys dazugeladen. Auf dass wir uns in salbungsvoller Weise an alte Zeiten erinnern können, mit allen Beteiligten auf dem Weg zur 20, der erschreckend kurz nur noch ist. Kommt also nach Moabit, in die Kufa, ins Slaughterhouse, und schwelgt mit! Weiterhin gelten unsere eigenverantwortlichen Coronaregeln: 'Kontrolliert euch bitte selbst, gewissenhaft, kommt nicht positiv, und es ist ausdrücklich erlaubt, Maske zu tragen!'. Im Jahr 2004 schon verstärkte uns der Kollege Hinark Husen vom Frühschoppen und blieb einige Jahre. Als Weddinger Beobachter, Nachbar, Vogelkundler, Moderator und sogar Papst hat er einen Ehrenplatz in unserer Ahnengalerie, außerdem hält er den Rekord im Textfertigschreiben. Nie schaffte es jemand von uns, so regelmäßig mit Geschichten einzutreffen, die wenige Minuten vor Showbeginn warm aus dem Drucker gezogen wurden.
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