Der lange Abschied (von Frank Sorge)
Es ist mir sehr unangenehm, mich nicht beim Abholen von den anderen Eltern der Kita-Kinder zu verabschieden - aber es geht nicht mehr. Es ist unwürdig. Man hat ja schon so relativ wenig miteinander zu tun. Wenn dann die wenigen Begegnungen peinlich verlaufen, umso verheerender. Nach guter Gewohnheit beende ich bislang Gespräche in der Garderobe mit 'Tschüß', 'Adieu' oder 'Auf Wiedersehen'.
Dann bringe ich die Kinder heraus und frage sie, ob wir direkt nach Hause wollen. Ich frage rhetorisch, denn die Antwort lautet immer “Eis!”. Also fahren wir zum Eisladen, wo, na hoppla, genau die Eltern sitzen, von denen ich mich gerade verabschiedet hatte. So wörtlich war das mit dem ‘Wiedersehen’ nicht gemeint.
“Hello again”, sage ich da peinlicherweise, oder “Ach, so sieht man sich wieder”.
Mir war schon aufgefallen, dass viele Eltern nicht auf ein ‘Tschüß’ reagieren und hatte das für unfreundlich gehalten. Aber jetzt weiß ich, die wussten halt schon, wie unsinnig so ein Abschiedsgruß ist. Ich nicht, also folgt ein peinliches Herumgestammel zur Gesprächswiederaufnahme, kantiger Smalltalk-Aufguss gegen unbehagliche Stimmungen, gekrönt mit einem Tschüß - das als ‘Jetzt aber wirklich’ betont ist. Es hält bis zum Spielplatz gegenüber.
Was ich auch nicht mehr mache, das Eis oder irgendein anderes Nahrungsmittel mit auf den Spielplatz zu nehmen. Kaum sitze ich selbst mal mit einem Stück Brot da, selten genug, dass ich überhaupt zum Essen komme, da nähern sich schon die ersten wankenden Gestalten. Sie haben große Kulleraugen, sie haben verschmierte Münder und sandverschlammte Schläfen. Sie wanken wie kleine Zombies, immer meine Kehle oder mein Gehirn im Blick, bei genauerer Betrachtung ist der Fokus der Karawane aber mein Brot. Oder mein Eis, oder meine Gummibärchen. Die meisten Kinder stehen einfach da und starren, bis ich ihnen alles übergebe. Andere setzen sich so um mich herum, dass ich komplett blockiert bin, bis ich alles verteilt habe. Meine eigenen Kinder beäugen das erst skeptisch, sehen, dass es funktioniert und rennen zu anderen Eltern. Überlebensstrategien im Wedding.
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Donnerstag, 13.7. /20.30 Uhr
La Luz (Oudenarder Str. 16-20, Osram-Höfe)
Die Brauseboys - Frische Texte
Jeden Donnerstag nehmen Thilo Bock, Robert Rescue, Frank Sorge, Volker Surmann und Heiko Werning ihre frisch geputzten Tastaturen und lassen es klappern. Die empfohlene Wochendosis Lesebühne, seit vierzehn Jahren jeden Donnerstag mit illustren Gästen.
Roman Israel (Sax Royal)
Karl Neukauf (Papperlapapp)
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