Zärtlichkeiten mit Fremden (von Frank Sorge)
Nach einer Pause im Geburtsvorbereitungskurs kommen wir in einen abgedunkelten Raum zurück, in dem alle auf ausgerollten Plastikmatten sitzen. Die Atemübungen nahen. Es gibt kein Entrinnen mehr - werden wir keuchen müssen, werden wir Urschreie ausstoßen müssen, wir wissen es nicht. Nur, dass es peinlich wird, da sind wir uns sicher. Es muss.
Wenige Minuten später liegen wir herum und atmen, Wehen wegatmen, für Entspannung sorgen. Wir flüstern uns ins Ohr, wir streicheln Rücken und Arme. Zwölf fremde Paare, deren Ergebnis intensiver Geschlechtstätigkeit miteinander zunehmend im Weg ist, machen es in einem Raum. Zärtlichkeiten mit Fremden, die Bäuche verhindern Schlimmeres.
Stelle mir vor, wie Geburtsvorbereitungskurse unter Hippies in den Sechzigern und Siebzigern ausgesehen haben könnten: “Fühlen Sie mal den Bauch meiner Frau”, “Fühlen Sie mal den Bauch meines Mannes” oder “Wer möchte noch eine Dammmassage? Ich bin da grad so gut drin”.
Zum Glück kommt es nicht zum Einsatz von Panflötenmusik, wir müssen auch keine schlechten Gefühle in Bergkristalle ableiten. Wir lümmeln hier einfach im Keller eines Krankenhauses rum, hören das schwere Atmen der anderen Paare und fummeln im Dunkeln, nach der anregenden Ansicht medizinischer Schautafeln. Alles kann, aber mehr muss nicht, das finde ich okay in diesem informativen Swingerclub der Nicht-nur-Hormonschwangeren. Manches Paar verfällt ob der eigenen Scham aber doch bald in geniertes Schulkichern. “Lassen Sie es einfach raus, damit es dann auch mal gut ist”, reagiert die Hebamme in einem Tonfall, der mich aufhorchen lässt. Vor solchen Lehrerinnen musste man sich in der Schulzeit besonders in Acht nehmen, denn ihr Pragmatismus war dazu geeignet, dass man plötzlich etwas einsah, was nicht eingesehen werden durfte, und man in Folge jeder Widerstandsfähigkeit und Rebellionskraft verlustig ging. Als das Gekicher und Getuschel weitergeht, zieht sie eine weitere Trumpfkarte: “Ich verspreche Ihnen, das eine, was sie in ein paar Wochen in dieser Situation nicht machen werden - ist lachen!”
Wir atmen, ganz ruhig.
Donnerstag, 23.4. / 20.30 Uhr
La Luz (Oudenarder Str. 16-20, Osram-Höfe)
Die Brauseboys - frische Texte
Jeden Donnerstag nehmen Paul Bokowski, Robert Rescue, Frank Sorge, Volker Surmann und Heiko Werning ihre frisch geputzten Tastaturen und lassen es klappern. Die empfohlene Wochendosis Lesebühne, seit zwölf Jahren jeden Donnerstag mit illustren Gästen.
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