Direkt zum Hauptbereich

Brauseboys am 20.2. mit Sebastian Krämer und Marien Loha

Neue Zäune (von Frank Sorge)

Meist passiert mehr in dem Fenster vor mir, als in dem Fenster neben mir. Rechts hinaus sieht es immer gleich aus im Hinterhof, wenn er auch durch die Jahreszeiten anders dekoriert und coloriert ist. Geradezu in den "Windows" zur Welt flimmern ständig andere Texte, Filme und Bilder, so viele Vögel könnten gar nicht im Hof herumflattern, um mich nachhaltig abzulenken. Plötzlich aber klettert da ein Mensch im efeuumrankten Baum, zehn Meter über dem Boden. Er ist mit Klettergerät gesichert, an seiner Seite baumelt eine Kettensäge. Aus der Artistiknummer wird ein Massaker, der alte Baum im Hof wird zersägt, und der Efeu, der es gerade letztes Jahr bis auf meinen Balkon geschafft hatte, wird abgerissen. Nichts ist von Dauer.
Deutsche und Bäume, versuche ich mich in der Melancholie zu bremsen, wie typisch meine Reaktion doch ist. Und dann aber sehe ich im nahenden Frühling den irritierten Blick der Ringeltauben. Sie sitzen auf dem letzten verbliebenen Baum im Hof, und haben wie jedes Jahr Vermehrungsspaß auf den Ästen vor meinem Fenster. Nur eignen sich die verbliebenen kahlen Äste nicht für ihr Nest, das vormals im Schatten des Efeus lag. Trotzdem sitzen sie da und hoffen vielleicht darauf, dass ihr gewohnter Platz wieder erscheinen wird, sobald die Blätter sprießen.
Deutsche und Vögel, überlege ich, tirili und tanderadei, fast so schlimm wie mit den Bäumen - bremse mich also im Mitleid. Die werden schon was finden. Die Auslichtung unseres Hofs wurde vor allem wegen der alten Zäune vorangetrieben, die gleich nach dem Baum fallen. Drei Häuser teilen den Hof, ich bekomme einen Schreck, wie gut er plötzlich ganz ohne Zäune aussieht. Was für ein schöner Hof das ist, ohne die Abriegelung der Segmente, das war nie zu sehen. Einen halben Tag lang blicke ich auf die Utopie unseres offenen Hinterhofes, dann ist der erste Teil schon wieder durch neues Zaunwerk in die separierte Häßlichkeit zurückgeführt.
Und das ist dann auch so typisch, da fällt mir nichts mehr ein.

~#~#~#~#~#~#~#~#

Donnerstag, 20.2. /20.30 Uhr
La Luz (Oudenarder Str. 16-20)

Die Brauseboys - frische Texte
Zurück im Wedding nehmen Paul Bokowski, Robert Rescue, Frank Sorge, Volker Surmann und Heiko Werning ihre frisch geputzten Tastaturen und lassen es klappern. Die empfohlene Wochendosis Lesebühne, auch 2014 jeden Donnerstag mit illustren Gästen. 

Gäste:
Marien Loha (Leser und Schreiber)
Sebastian Krämer ("Subtil heranschleichende Boshaftigkeit")

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Heiligabend mit den Brauseboys

Was ich mache, wenn ich nicht den Newsletter schreibe 1.) Eine Strichliste anlegen, wie oft ich das Wort Blitzeis im Radio höre. Überlegen, wie ich mit den Varianten "Blitzendes Eis", "Blitzkrieg", "Blitzer" und "geblitzt wird" umgehen soll. 2.) Pfefferkörner kaufen und in die Pfeffermühle bis zum Rand einkullern lassen, dann eine Brötchenhälfte mit Kassler und Käse belegen und mit Pfefferschrot schwärzen. Mich am frischen Duft der zerrissenen Splitter berauschen. 3.) Aus dem Fenster sehen. Auf der verbliebenen Schneedecke im Hof ist ein Vogel herumgelaufen, offenbar von schwerer innerer Verwirrung betroffen hat er stundenlang in vielfältigen Kreisen sein verstörendes Schneegemälde gemalt. 4.) Zeitung lesen und über Kopenhagen informieren. Der sudanesische Sprecher und "Bremser" heißt Lumumba Stanislaus Di-Aping. Die Ladezeit der Facebook-Fanseite von Thorsten Schäfer-Gümbel ist enorm. Er sagt: "Dem Schneckentempo

Brauseboys am 2.5. (20 Uhr) nebenan im REH mit Isobel Markus, Christoph Theußl und Hinark Husen

Kartenhaus (von Frank Sorge) Wenn man ein Kartenhaus baut, rechnet man ständig damit, dass es zusammenfällt. Es ist das Ziel der Beschäftigung, den unvermeidlichen Zusammensturz hinauszuzögern. Die Struktur des Kartenhauses ist nur die Visualisierung des Erfolges, je mehr Etagen es bekommt, je länger es hält. Zeit, Geduld und Geschick bekommen ein Muster, ein flüchtiges Gewebe, obwohl sie ja sonst so unfassbar sind. Dann macht jemand ein Fenster auf und es fällt zusammen. Ärgert man sich? Ja, weil es menschlich ist, und nein, weil man mit nichts anderem gerechnet hat. Warum mir das einfällt? Ach, einfach nur so, kein Bezug zur Gegenwart. Nein, ehrlich, oder seht ihr einen? Kartenhäuser baut man, um Zeit totzuschlagen, heute hat man die doch gar nicht mehr. Heute ist man erwachsen und baut andere Strukturen, mit anderen Zwecken, als dass sie zusammenfallen. Was mit Grundlage und Substanz, aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse. Also ist es kein Problem, bei diesem Wetter überall die

Brauseboys am 9.5. (20 Uhr) mit Mimi Wohlleben im Haus der Sinne

Fern (von Frank Sorge) Was tut am Fern so weh? Wenn ich meinen Wedding seh, dann ham wir doch alles  und keinen Mangel im Speziellen.   Solang uns die BVG nicht im Stich lässt, erreicht man noch den ganzen Rest des Planeten zu jeder Tageszeit.   Ja, so jubeln die Stadtteilpoeten. Es ist immer ne Kneipe offen und ein Späti im Morgengrauen.   Türkische Backwaren warm aus dem Ofen, Fische aus fremden Ozeanen, Importmärkte aller Couleur.   Hier ist so viel Ferne,  die gibt’s woanders gar nicht. Wo kann es dich hinziehn, als immer nach Berlin? ­ Brauseboys am Donnerstag, 9.5. (20 Uhr) mit Mimi Wohlleben   Haus der Sinne (Ystader Str. 10)   Ein wenig Sommergefühl tut unserer Stadt immer gut, aber die Phasen der Abkühlung sind auch wichtig. Da es absehbar weniger kühle Tage im Jahr werden, steigt sogar deren Bedeutung zur Erholung für Körper und Geist. Idealerweise sind derlei Tage mit einer inspirierenden Kulturveranstaltung gekrönt, die mit innerer Wärme ausgleicht, und was sollen wir sage