Die Tram ist aus
Der Straßenbahnfahrer bemühte sich um das richtige Timing seiner Durchsage. Draußen der Ostwind, die Russenpeitsche, die Minusgrade, drinnen der nach Hause strebende Berufspassantenverkehr. Die Straßenbahn hielt an den Osram-Höfen, und fuhr aber nicht weiter. Eine Minute verstrich, und erste Unruhe kam auf. Lief irgendjemand über die Schienen oder blockierte ein Schneemann den Weg? War der Fahrer eingeschlafen, oder hatte er spontan beschlossen, doch lieber Bürofachkraft zu werden und seinen Sessel längst verlassen?
Die ersten sahen unsicher nach draußen, wo nach den ersten Metern die Sicht durch das Schneetreiben schon endete. Würde es hier vorbei sein? Waren die Türen schon eingefroren und hatten die Tram zum eisigen Sarg gemacht? Das war der richtige Moment für den Straßenbahnfahrer, den Piloten zu mimen und eine Durchsage zu machen: “Liebe Fahrzeuge...”, begann er seine Ansprache an die Totgeweihten, “äh.. verdammt, liebe Fahrgäste natürlich.”
In den sich abmildernden Applaus hinein, fuhr er nicht mit der Bahn, aber mit der Rede fort: “Liebe Fahrgäste, das Fahrzeug hat ein technisches Problem."
Ich trat nach draußen und wurde von einer eisigen Faust begrüßt. Mit zugekniffenen Augen schlidderte ich zum Gehweg am Friedhof und schloß mich der Schicksals-Karawane an. Ich sah das Licht des Alhambra-Kinos am Ende des Tunnels, passierte aber noch weit davon entfernt zwei Weddinger mit Hunden am Weg.
“Ey, kiek mal, Kalle, sonst looft hier keen Mensch lang, und jetzt haste hier die janze Tram uffm Weg.”
“Ma wieder keen Hartz IV jekriecht, wa, könnsich keene Bahn mehr leisten”, rief der andere.
Donnerstag, 31.1. /20.30 Uhr
La Luz (Oudenarder Str. 16-20, Osram-Höfe)
Die Brauseboys
Die empfohlene Wochendosis Lesebühne, auch 2013 jeden Donnerstag mit neuen Texten. Paul Bokowski, Hinark Husen, Robert Rescue, Frank Sorge, Volker Surmann, Heiko Werning und Gäste lesen was vor.
Gäste:
Tilman Birr (Vorleser Ihres Vertrauens): www.tilmanbirr.de
Ivo Lotion (Showmaster mit Weltniveau): www.ivolotion.de
Kommentare
vielen Dank für den schönen Abend. Heino und der Punkt waren für mich die Höhepunkte. Nur eine Sache wollte ich schon länger mal fragen: warum verstecken Sie sich in den auftrittsfreien Momenten in diesem dunklen Loch vor der Bühne? Stellen Sie Ihren Tisch doch einfach in die hintere rechte Ecke auf der Bühne. Zur Begrüßung wird Sie ein sanfter Spot beleuchten und in der restlichen Zeit sitzen Sie im Halbdunkel. Die Vorteile liegenn auf der Hand: Für das Publikum sind Sie als Ensemble sichtbar. Sie können so tun, als wären Sie weiterhin unsichtbar, dürfen aber Rauchen, wegen Kunstfreiheit und so. Mit besten Grüßen Rico Valtin