Direkt zum Hauptbereich

Brauseboys am 15.11.: Leselichter


30 Sekunden

Wieder einmal lande ich in einer Schulklasse, um mit den jungen Insassen etwas Kreatives zu schreiben, wovon ich aber an dieser Stelle nichts erzählen möchte. Nur andeuten, dass man für die aktuelle Klasse besser nicht mich, sondern den Drill-Sergeant aus Full Metal Jacket hätte einstellen sollen. Denn nur bei diesem hätte ich Hoffnung, dass er eine den Schülern angemessene Mischung aus Disziplinierungsmaßnahmen und packenden Arbeitsmethoden zu finden in der Lage wäre. Als Alternative würde mir nur noch Herkules einfallen. Ich bin dafür einfach zu nett, wofür ich auf der anderen Seite auch gelobt worden bin. “Hat zwar nichts geklappt, aber die Schüler fanden Sie nett”, sagt die Lehrerin nicht ganz in diesen Worten, die aber dahinterstecken. Und die Schüler selbst machen zwar nichts, sagen aber in einer kurzen Kreischpause auch einmal: “Sie sind wenigstens nett.” Wenn allgemeine Nettigkeit als Kompetenz gefragt wäre, könnte ich nur noch Chuck Norris anbieten, diese Schüler zum Schreiben zu bringen. Der guckt doch lieb. Denke aber, er würde den Job aus fadenscheinigen Gründen nicht annehmen, da er insgeheim ahnen wird, dass auch Grenzenlosigkeit irgendwo Grenzen hat. Und wer will schon in einem Klassenzimmer in Pankow enden?
Das Problem ist aber eben nicht, wie man denken könnte, dass es an den Fähigkeiten der Schüler liegen würde, diesem Antibildungsloch, in das alle Jugend gefallen ist. Sie sind schlauer denn je, aber auch viel zu schlau, um das immer zu zeigen. Es blitzt hier und da einmal auf, um mich ruhigzustellen, und das funktioniert. Ein Beispiel: Kurz vor der Stunde sind noch andere Schüler im Raum, einer sieht das “Das ist kein Berlin-Buch” der Brauseboys mit der leer gegessenen Pommes-Pappe auf dem Cover.
“Ist das Buch von Ihnen?”, fragt er.
“Nicht nur, aber zu einem großen Teil”, sage ich.
“Sind Sie ein Schriftsteller?”, fragt er.
“Ja”, sage ich.
“Aha, ich weiß schon, dann schreiben Sie so kurze, lustige Geschichten über Currywurst und Döner.”
Ich nicke. In dreißig Sekunden hat mich dieser 13-jährige, der wie ein 11-jähriger aussieht, analysiert, durchschaut, korrekt einsortiert und verurteilt. Er nimmt seinen Rucksack, schwirrt aus dem Raum und geht zum parallel stattfindenden Spanisch-Kurs. Er hat mich derweil abgelenkt von den Pausengesprächen über Quantenphänomene und Wagners letzte Oper, sobald aber die Klingel zur Stunde schlägt, ist auch meine Gruppe wieder ein schlaffer Haufen aus Papierflugzeugbastlern mit Bestleistungen in den Fächern Ignoranz und Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Ich durchschaue sie, aber es hilft mir nicht.

~#~#~#~#~#~#~#~#
Donnerstag, 15.11. /20.30 Uhr
La Luz (Oudenarder Str. 16-20, Osram-Höfe)

Die Brauseboys
Die empfohlene Wochendosis Lesebühne, jeden Donnerstag mit neuen Texten. Paul Bokowski, Hinark Husen, Robert Rescue, Frank Sorge, Volker Surmann, Heiko Werning und Gäste lesen was vor.

Gäste:
Corinna Stegemann (schreibt Wahrheit): www.taz.de
Hans Rohe (Buena Vista Sozialamt): www.hansrohe.de 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Brauseboys am 2.12. im Slaughterhouse (20 Uhr, 2G) + Livestream: Mit Amalia Chikh

Illusionen von Frank Sorge Kennt Ihr noch das Gefühl, auch nach langem Widerstand und dem Ausschöpfen aller rhetorischen Mittel, jemand anderem Recht zu geben? Oder die Verwunderung darüber, nachdem man sein Pulver rundherum verschossen hat, dass man im abziehenden Nebel auf verlorenem Posten war? Oder die Ohnmacht, mit den Sohlen direkt  hineingetreten, einer wirklich peinlich idiotischen Sache auf den Leim gegangen zu sein? Kennt ihr das noch, die Haltung, wie man sich selbst zuhört, worüber man redet, und über sich ein Urteil fällt, ausnahmsweise unbeschönigt? Erinnert Ihr euch an Argumente ohne Rosinenpicken, Strohfeuerwendungen, ohne Täter-Opfer-Umkehr, unlautere Verharmlosungen oder Totschlag-Sperrfeuer, und ohne den Nationalstolz der Weißen? Dann ist ja gut, ich dachte schon, das gäb es kaum noch mehr. Es ist noch alles da, es ist in Mehrheiten vorhanden. Das ist beruhigend und keine Illusion. ~#~#~#~#~#~#~#~# Donnerstag, 2.12. /20 Uhr Kulturfabrik Moabit (Lehrter Str. 35) Bra

Brauseboys Live + Stream am 24.2. (20 Uhr, 2G) im Slaughterhouse: Mit Felix Jentsch

Russisches Roulett (von Frank Sorge) Ralle: Dit is' Ding, wa? Mit die Ukraine? Dieter: Wat ham die denn für ne Inzidenz? Ralle: Nich Corona, Dieter, Invasion. Dieter: Jibts ne neue Mutante? Ralle: Alte Mutante, Sowjet-Style. Dieter: Und jetzt ham die mehr Medaillen, oder wat? Ralle: Nich Olympia, Dieter, die Russen. Dieter: Ja, die hatten die meisten, oder? Ralle: Nee, dit war früher mal, die warn jarnich dabei, also doch, aber nich als Russland. Dieter: Ach, jenau, wegen Doping. Wie hieß do' gleich der chinesische Jesundheitsminister? Ralle: Janz olle Kamelle, Dieter. Minister ham die ooch, gloob ick, janich mehr, macht allet Putin. Dieter: Der kann Karate, wa? Ralle: Judo. Dieter: Und wat sacht der jetzt? Ralle: Versteh ick nich, aber wat er macht, sieht man ja. Panzer, Soldaten, Raketen, die janze Grenze lang een Uffmarsch. Een abjekartetet Spiel, sag ick dir. Dieter: Ick kenn nur Russisch Roulett. Ralle: Jenau, so ähnlich kommt mir dit vor, nur mit alle Patronen drin. Sag

Brauseboys am 24.12.: Früher war mehr Lesung

Monolith auf Monolith III (von Frank Sorge) Es begab sich aber zu der Zeit, in der Infektionszahlen nicht sehr geschätzt waren, dass alle Menschen aufgefordert wurden, an den Ort ihres größten Einkaufszettels zu wandern, um möglichst viele Weihnachtsgeschenke noch zu erledigen. Es war auch die Zeit, in der man ‘Weihnachtgeschi’ eingeben muss, um überhaupt einen Treffer zu ‘Weihnachtsgeschichte’ zu landen, denn es war die Zeit der Geschenke, nicht der Geschichten. Da machte sich auch Frank aus dem Wedding, auf in das alte Land, das da heißt Tempelhof, und ging zum Ikea, damit er gezählt werde bei Eingang und Ausgang, und damit seine Finanzen geschätzt werden könnten, im Vergleich zum Einkaufe. Und er hatte einen Beutel dabei, darin waren andere Beutel, und in einem Beutel sogar noch ein Beutel. Und als er dort war, kam nach einer Stunde Schlangestehen die Zeit, dass er einkaufte. Und er nahm ein erstes Paket Kerzen und legte es in einen Einkaufswagen, denn er hatte sonst keinen Raum in