Maskiert (von Frank Sorge)
Ich gehe nach unten in den sonnendurchfluteten Kiez, um einzukaufen. Was soll man auch sonst machen? Meine Maske ist in der Jackentasche, gestern habe ich sie erst vor dem Supermarkt angezogen, jetzt lege ich sie gleich auf der Straße an. Sie ist sehr hübsch, muss ich dazu sagen, ein Hipster-Stoff mit symbolisierten U-Bahnstrecken, und was meine Frau näht, ist sowieso immer top. Wenn man mir nahe genug kommt, kann man auch einzelne Stationen lesen: Friedrichstraße, Alexanderplatz. Die Maske ist leicht und man kann gut in ihr atmen. Je weniger jetzt um mich herum noch eine tragen, desto lieber trage ich sie. Sie entspannt mich jeden Tag mehr auf eine Art, die ich nicht für möglich gehalten hätte. Ich brauche unter ihr keine Mimik, ich brauche keine Gesichtsmaske, wenn ich maskiert bin. Ich kann mal den Mund offenstehen lassen, die Mundwinkel entspannen, die Kiefer lockerlassen. Ein wenig fange ich schon jetzt an zu bedauern, wenn wir damit wieder aufhören.
Auf dem Gehweg schlurft ein Rentner mit Handwagen heran. Ich bin nicht geistesgegenwärtig genug, mit dem Smartphone für die Welt zu fotografieren, was ich sehe, aber es brennt sich mir ohnehin wie ein Foto ein. Offenbar hat er keine übliche Maske mehr bekommen, er trägt eine Clownsmaske aus Plastik, ungefähr wie die Schergen des Jokers. Ein billiges, buntes Teil, das fies lacht und das nur zwei winzige Gucklöcher übrig lässt, durch die er navigiert. Wo immer er hingeht, zum Einkaufen, zur Apotheke, der Horror-Clown-Effekt ist perfekt und wahrscheinlich wird er überall vorgelassen, oder die Schlangen lösen sich unmittelbar auf, wenn er sich anstellt. Andererseits ist hier Wedding, die meisten hier lachen sich vermutlich nur tot. Also hoffentlich nur im übertragenden Sinne, denn auch beim Lachen fliegen diese Aerosole ja ganz schön rum.
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Donnerstag, 14.5.20 / 20.30 Uhr
Facebook Livestream (Öffentlich, Internet)
Die Brauseboys - Lesebühne im Wedding - Viva la Isolation!
Seit siebzehn Jahren jede Woche neue Texte, Betrachtungen, Musik und belebende Heiterkeit, seit Beginn der Isolation im Livestream der Herzen. Wie lange das noch so bleiben muss, können wir nicht sagen, aber draußen stehen schon die nächsten Erreger vor der Tür. Virale Verschwörungstheorien, die Schrauben lockern und die Vernunft gefährden, da bleiben wir doch lieber länger drin. In diesem Internet, mit einem Betriebssystem von... ah, oh, wo ist mein Virenscanner? Ihr aber könnt uns weiterhin aus sicherem Abstand zusehen, wie wir lesen und singen, live und in Farbe auf Facebook, mit ungezügelter Freude. Schaltet ein, trinkt ein Eschenbräu mit uns mit und lasst euch was vorlesen.
Ab 20.15 Uhr einschaltbar auf unserer Facebook-Seite, auch ohne Account. Der Livestream wird archiviert und kann später nachgeschaut werden.
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