Gerecht ist nichts (von Frank Sorge)
Noch schnell Kuchen für den Nachmittag kaufen. Vier Stück abgezählt für die Familie muss reichen, überlege ich beim Warten. Na, vielleicht noch ein Spritzgebäck für unangekündigten Besuch, den Heiland, den Paketboten oder Außerirdische. Man muss immer vorbereitet sein.
Hier im Traditionsbilligbäcker drängeln sich oft ältere Herrschaften vor, ist mir aufgefallen. Heute eine Seniorin, hinter mir rein in den Laden, schnurstracks irgendwie zum Seitentresen. Dann dumm rumstehen und bald einen Ausfallschritt in die Schlange machen. Heute aber ist das Personal aufmerksam: 'Wer war dran?', ruft die Backfee demonstrativ und winkt mich heran.
'Vier Stück Kuchen', bestelle ich, 'Mohn, Kirsch, Streusel und Bienenstich.' Ein Glück bin ich an sie geraten, denke ich, bei ihrem jungen Kollegen braucht es keine vordrängelnden Rentner, um überholt zu werden. Unter einer halben Stunde geht da nichts und Scharen von Kunden ziehen abgefrühstück vorbei, während der noch das Einwickelpapier faltet. Vielleicht ist die Seniorin ja vor allem darauf erpicht gewesen, ihn zu überspringen und nicht mich. Sie steht in meinem Rücken, vermutlich rot vor Scham.
'Ach, hier beim Kirsch, dit is ja so schmal, da jeb ick Ihnen noch dit von der Kante mit, okay?"
"Ja, klar, danke schön", sage ich, dann läuft die Generosität etwas aus dem Ruder.
"Oh, hier bei dem Streusel auch, mach ick Ihnen dit andere noch dazu, ja?"
"Äh, gern, ich wollte dann eigentlich noch einen Spritzkuchen."
"Einen? Und uneigentlich? Ick hab hier noch zwee Alte, die lege ick ihnen einfach drauf, ja? Wat weg is, is weg."
Ich muss wirklich sehr hungrig aussehen. Aber warum lächelt die Bäckerin immer so über meine Schulter?
Doch alles Show für die Dränglerin. Zuhause wird die klagen: "Da hat sich so ein junger Mann vorgedrängelt und dann hat der auch noch so viel umsonst bekommen." Mir soll es recht sein. Mit zwei großen Tüten Eckstücken, Mängelexemplaren und Probierhäppchen trete ich den Heimweg an.
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Donnerstag, 1.12. / 20.30 Uhr
La Luz (Oudenarder Str. 16-20, Osram-Höfe)
Die Brauseboys - frische Texte
Jeden Donnerstag nehmen Thilo Bock, Robert Rescue, Frank Sorge, Volker Surmann und Heiko Werning ihre frisch geputzten Tastaturen und lassen es klappern. Die empfohlene Wochendosis Lesebühne, seit dreizehn Jahren jeden Donnerstag mit illustren Gästen.
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