Aufpassen (von Frank Sorge)
Die Kinder entwickeln sich sehr schnell. Ich muss aufpassen, dass sie nicht vor mir erwachsen werden. Gerade noch lagen sie hilflos auf dem Rücken, jetzt stellen sie sich schon überall hin und ziehen Bücher aus den Regalen. Manche davon sind noch nicht gelesen, das sollte ich schnell nachholen. Nicht, dass sie die vor mir lesen, und ich muss doch wissen, was ihre Lektüre ist. Erst einmal, sie werden so schnell groß. Noch sind sie klein, zugegeben, aber sehr klein auch nicht mehr.
Sie sprechen sogar schon, aber in einer anderen Sprache. Mindestens diese ist mir voraus, denn statt, dass ich sie erlernen könnte, fliegt ihnen bald unsere zu. Keine Illusionen außerdem darüber, dass Babies ja noch alles akzeptieren und mitmachen würden. Der Widerstand hat sich längst formiert, es gibt Krawalle. Viele haben mir geraten, ihnen Rituale beizubringen - aber vor dem Einschlafen machen sie auch von selbst jeden Abend das gleiche Theater. Hier spielen sich Szenen ab wie bei der Auflösung von Demonstrationen, wenn Protestierende unter wildem Gerangel von der Straße getragen werden.
Harmlos sind die Konflikte auch nicht mehr, denn die Bewaffnung der Widerständler schreitet voran. Mit dem stabilen Daumennagel schneiden sie Zeitungen, grüne Blätter und Haut zurecht, erste spitze Zähne zeigen sich. Kleine Tiger im Zoo sehen auch erst einmal ganz niedlich aus.
Immer wieder ertappe ich sie dabei, wie sie mich von der Seite beobachten, sie haben jetzt diesen wissenden Blick. Was auch immer für ein Wettstreit folgen wird, ich ahne, ihn schon verloren zu haben.
Donnerstag, 25.2. / 20.30 Uhr
La Luz (Oudenarder Str. 16-20, Osram-Höfe)
Die Brauseboys - frische Texte
Jeden Donnerstag nehmen Paul Bokowski, Robert Rescue, Frank Sorge, Volker Surmann und Heiko Werning ihre frisch geputzten Tastaturen und lassen es klappern. Die empfohlene Wochendosis Lesebühne, seit zwölf Jahren jeden Donnerstag mit illustren Gästen.
Jürgen Beer
Kommentare