Arbeit durch Freude (von Frank Sorge)
Nach der Sanierung und dem Einzug der Arbeitsagentur in den Rathausturm am Leopoldplatz, hat der Wedding endlich die Kathedrale, die er verdient.
Der staunende Kunde betritt sonnendurchflutete Gänge, die mit Geräuschen des Waldes bespielt werden, ihm werden probiotische Erfrischungen gereicht. Arbeitsbischof Schmidtski erläutert den neuen Ansatz im Problemkiez: “Wir haben festgestellt, dass der Übergang in die vermittelte Arbeit zu schroff war. Jetzt, da die Arbeitslosenzahlen einen historischen Tiefstand erreicht haben, konnten wir uns die Zeit nehmen, auch einmal unsere Abläufe zu optimieren.”
Es wäre nicht leicht, Abschied von der Untätigkeit zu nehmen, die Jobcenter hätten dies lange unterschätzt. Viele ihrer Kunden wären auf der neuen Arbeit nicht zurechtgekommen, oft wären sie als ehemalige Arbeitslose identifiziert und mit Vorurteilen konfrontiert worden. Daher gäbe man Neuankömmlingen jetzt ohne jedes Entgeld einen frischen Haarschnitt, in Sauna und Wellnessbereichen schwitze man gemeinsam das alte Leben aus. Schon heute könne man Kunden und Priester auf den Gängen durch Geruch und Kleidung nicht mehr voneinander unterscheiden.
Ich frage nach, wo denn das Personal herkäme, oder wie das bezahlt würde? “Umschulung”, sagt Schmidtski knapp, “wir haben sämtliche Bewerbungscoacher umgeschult, meist sogar einfach in deren vorige Berufe zurück. Friseure, Masseure, Kleinkünstler, Änderungsschneider. Radikal, ja, aber der Erfolg gibt uns recht. Denn es ist klar geworden, dass nicht die erfolgreiche Vermittlung den Arbeitslosen ändert. Der geänderte Arbeitslose zieht die Arbeit selbst an, viel schneller als gedacht, das ist für alle ein deutlich angenehmerer Weg.
Schmidtski muss los, ungläubig durchquere ich die belebten Räume auf eigene Faust und kann es kaum fassen. Ich lasse mir die Nägel machen, schminken und stärke mich mit Bio-Tapas der offenen Kantine. Dort treffe ich Ralph, einen lustigen Mittfünfziger mit dichtem, schwarzem Haar und gesundem Teint.
“Ick komm jeden Tach her”, verrät er mir, “schon alleene wegen Yoga. Da haste den juten Draht zum Kosmos und zu die Damen. Ick war ja mal Lackierer, und denne allet mögliche, aber meistens nüscht, wa? Hab mir trotzdem amüsiert. Is zwar nich schön, keene Arbeit, aber auch keen Beenbruch. Aber dann war ick hier und augenblicklich jeheilt. Nüschttun is anjenehm, aber dit hier is besser. So glücklich wie jetzte war ick jedenfalls noch nie in meen Leben.”
Ob er denn nicht Angst hätte, das dies alles hier endet, wenn er eine Arbeit hätte und keine Zeit mehr für Schaumbäder?
“Arbeitslos? Icke? Ick komm hier nach Feierabend hin. Na, und vorher ooch. Besseret Workout findeste nirgends. Außerdem, mal im Ernst. Ick gloob hier jibs überhaupt keenen Arbeitslosen mehr, dit hältste nich lange durch, ohne wat sinnvollet für die Jesellschaft zu tun.”
Auch in mein Herz zieht unvermittelt Freude über den nächsten Arbeitstag ein, um von meinen Erlebnissen hier mitten im Wedding zu berichten. Staunend lasse ich mich ins Schaumbad sinken und mir einen Virgin Martini reichen.
Donnerstag, 12.11. / 20.30 Uhr
La Luz (Oudenarder Str. 16-20, Osram-Höfe)
Die Brauseboys - frische Texte
Jeden Donnerstag nehmen Paul Bokowski, Robert Rescue, Frank Sorge, Volker Surmann und Heiko Werning ihre frisch geputzten Tastaturen und lassen es klappern. Die empfohlene Wochendosis Lesebühne, seit zwölf Jahren jeden Donnerstag mit illustren Gästen.
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