Geteilte Freude (von Frank Sorge)
Die Arztpraxis ist im dritten Stock, also finde ich es legitim, mich vor den Fahrstuhl zu stellen. Körperlich bin ich noch in der Lage, die Etagen auch auf der Treppe im Flug zu überwinden. Zwei Stufen auf einmal, kein Problem, drei wären hier mit Hilfe des Geländers wohl auch drin. Aber muss ja nicht, zudem stellt sich ein weiterer Mann "im besten Alter" neben mich, um auf den Fahrstuhl zu warten. An der Anzeige erkennen wir, dass der im dritten Stock ist und wohl jeden Moment zu uns runterfahren wird.
Weitere Patienten betreten den Flur, es ist ein Ärztehaus, sehen kurz zu uns und nehmen die Treppe. Sicher müssen sie nur in die erste Etage. Der Fahrstuhl hängt weiter im dritten Stock fest, es ist unklar, warum er sich nicht in Bewegung setzt. Aber jeden Moment muss es doch so weit sein.
Die ersten älteren Menschen gehen an uns vorbei und nehmen die Treppe, langsam wird es peinlich. Ich sehe den Mann neben mir an, er denkt das Gleiche. Immer noch eine Rentnerin kommt herein, sieht spöttisch zu uns rüber und verschwindet über die Stufen.
Der Fahrstuhl ist mittlerweile im vierten, beim nächsten siechen Patienten mit Krückstock merke ich an den Kopfbewegungen des Mannes neben mir, dass er die Situation abwägt und schon gleichfalls zur Treppe strebt. Aber das geht nicht. Wie stehe ich dann da?
Also spreche ich ihn an: "Jetzt haben wir schon so lange gewartet, jetzt muss er ja jeden Moment kommen."
Das hilft, er lächelt und entspannt sich. Der Blick auf die Anzeige aber straft mich Lügen, unverrückbar hält der Fahrstuhl jetzt ganz oben.
"Wir ziehen das jetzt durch!", sage ich eine Minute später, damit er es sich doch nicht anders überlegt. Er nickt schicksalsergeben. Endlich ist der Aufzug da, wir drücken den passenden Knopf, fahren hoch und treten auf den Flur. Geschafft! Dass es sich nicht um unsere, sondern um die zweite Etage handelt, fällt uns erst auf, als die Fahrstuhltüren hinter uns schon geschlossen sind. Also laufen wir gemeinsam durchs Treppenhaus. Immerhin mit lautem Lachen, das ja sehr gesund sein soll.
Donnerstag, 26.2. / 20.30 Uhr
La Luz (Oudenarder Str. 16-20, Osram-Höfe)
Die Brauseboys - frische Texte
Jeden Donnerstag nehmen Paul Bokowski, Robert Rescue, Frank Sorge, Volker Surmann und Heiko Werning ihre frisch geputzten Tastaturen und lassen es klappern. Die empfohlene Wochendosis Lesebühne, seit elf Jahren jeden Donnerstag mit illustren Gästen.
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