Was bisher geschah: In Rio hat ein Journalist der amerikanischen Unterhaltungsplatform The Daily Beast enthüllt, dass es im olympischen Dorf bei der schwulen Dating-App Grindr, kurz gesagt, rund geht. Dazu streute er Andeutungen über prominente Athleten, die ihn angechattet hätten, sparte nicht mit süffisanten Hinweisen auf deren Identität, und berichtete, auch von muslimischen Sportlern kontaktiert worden zu sein, aus Staaten, in denen Homosexualität streng verboten sei.
So weit,
so sensationsgierig. Über The Daily Beast brach ein Shitstorn
sondergleichen rein, weil die Andeutungen des Artikels doch in ihrer
Konkretheit sehr nach Zwangsouting rochen. Verschiedentlich wurde kritisiert,
dass der besagte Journalist hetero gewesen sei. Ich persönlich halte das für
nicht sehr relavant. (Ich glaub, die Homomedien ärgerten sich bloß, dass sie
nicht selbst auf die Idee gekommen waren. Ich bin mir allerdings sicher, dass
sie sensibler mit Hinweisen auf Identitäten umgegangen wären.)So oder
so: Der Chefredakteur vom Daily Beast entschuldigte sich, der Artikel
wurde aus dem Netz genommen. So weit, so unangenehm, der Fall schien
abgeschlossen.
Doch dann
kam Manuel Schubert von der taz.
Ja, ich
glaub auch: Normalerweise würde dieser Satz heißen: „Doch dann kam Franz-Josef Wagner
von der BILD“ oder „Dann kam Matthias Matussek“, aber nein, auch die taz hat
ihre Quartalsirren.
Manuel
Schubert wundert sich in einem Artikel, überschrieben mit „Ehrlicher Ficken“,
über den Shitstorm, ob dahinter wirklich ein „Bruch der Privatsphäre“
stecke. Noch mehr wundert er sich über prominente Athleten, die dabei
auffliegen, „wenn sie sich auf einer weltberühmten schwulen Dating-App
mitten im olympischen Dorf nach einem Penis umsehen“ und unkt, sie seien „vielleicht“
„selbst Schuld“ und sicherlich „naiv“.
Gut, naiv ist das vielleicht,
aber Apps wie Grindr basieren auf einem Grundkonsens: dass sich dort nur
Gleichgesinnte treffen. Sportler fickt Journalist fickt Volunteer fickt Local
fickt wenauchimmer ... Informationen aus so einem Medium zutage zu fördern,
ist, wie in einem Darkroom das Licht anzuknipsen. Das macht man einfach nicht.
Ohne diesen Grundkonsens an Naivität funktioniert schwule Subkultur nicht.
Aber das
ist nur ein Teilaspekt. Schubert geht es um das große Ganze: „In jedem Fall
sind sie Weltklasseathleten. Sie wissen, dass sie gerade bei Olympia auf der
Weltbühne stehen. Als Sportler, aber auch als Staatsbürger, gut bezahlte
Werbegesichter, Prominente und Vorbilder. Nur: Welchen Vorbildcharakter hat ein
Athlet, der zwar Höchstleistungen erbringt, aber zugleich einen maßgeblichen
Teil seines identitären Kerns, das Sexuelle, verbirgt, ja vertuscht und die
Öffentlichkeit darüber belügt? Klare Antwort: keinen.“
Unverkennbar:
Wir bleiben beim Thema Naivität. Mit der schaut Manuel Schubert auf den Sport.
Ich sehe das anders: Sportler sind in erster Linie Sportler. Medaillen werden
verliehen für sportliche Leistungen, nicht für Gesinnungen oder charakterliche
Brillanz. Es gibt Sportler, die als Vorbilder taugen, andere taugen nicht. Ist
so: Die meisten Sportler sind Menschen wie du und ich (auch wenn sie nicht
immer so aussehen).
Schubert
kapriziert in seinem Text ausschließlich auf Spitzensportler und „gut
bezahlte Werbegesichter, Prominente und Vorbilder“. Auch das ist
haarsträubend naiv. In Rio sind mehr als 11.000 Athletinnen und Athleten. Wie
viele von denen sind prominent, gut bezahlt und Werbegesichter? Maximal 10
Prozent würde ich denken. Das Gros der Olypioniken stellen hingegen die vielen
Spartensportler, die Unbekannten aus allen Herren Länder, für die Olympia ein
großes Abenteuer ist. Sollen sie das doch mit sexuellen Abenteuern verbinden!
Wer möchte es einem schwulen Bogenschützen aus, was weiß ich, sagen wir Pakistan
(fiktives Beispiel) verübeln, dass er bei solch einem Abenteuer auch
anderweitig zum Schuss kommen möchte?
Natürlich:
Wenn ein Starathlet aus einer westlichen Nation seine Homosexualität verheimlicht,
weil das Werbeverträge kosten könnte, dann mag man das mit Recht kritisieren,
und meinethalben mag man dann auch Gerüchte kolportieren. Aber wir dürfen nicht
vergessen, dass in einer Vielzahl von Staaten dieser Erde Homosexualität
verboten und mit drakonischen Strafen belegt ist. Wer da seine Sexualität
verbirgt, ist kein schlechtes Vorbild sondern schlicht lebensklug. Und in noch
viel mehr Staaten sorgen homophobe Staats- oder Religionsdoktrinen dafür, dass
ein Coming-out eine Ächtung als Sportler, mindestens aber ein Ende jeder
Sportförderung bedeuten würde. Es geht also auch um sehr existenzielle Fragen.
Kann man es jemanden, der mit Leib und Leben Sportler ist, verübeln, dass er da
seine Homosexualität im Verborgenen hält?
Dabei argumentiere ich nicht
von dem Standpunkt, dass Homosexualität per se „ins Private gehört“. Da stimme
ich Manuel Schubert sogar zu, im Grunde ist Homosexualität keine Privatsache,
aber ich glaube, das war gar nicht Kern des Shitstorms. Es gibt aber – leider!
– viele kluge Gründe, Homosexualität im Privaten zu halten, und der wohl
Gewichtigste ist, am Leben zu bleiben. Kurios, dass Manuel Schubert diesen
Aspekt so gar nicht betrachtet.
Er
verlangt unbedingte „Ehrlichkeit“ von Sportlern, „man muss
behelligen, muss offen und authentisch auftreten“. Gut gebrüllt, Schubert,
aber dann brüll mal weiter: „It’s Raining Men“ mit ner Regenbogenflagge in der
Hand auf einem Markplatz in Theheran. Da beginnen aber sofort die
Endausscheidungen im Steinweitwurf.
Genau hier
lag der eigenliche Skandal der Daily Beast-Enthüllungen, die jeden
Shitstorm gerechtfertigt haben: Ich möchte nicht in der Haut desjenigen
schwulen, musilimischen Athleten gesteckt haben, der da (nicht namentlich)
erwähnt wurde. Ich möchte mir seine Angst nicht ausmalen, ob da vielleicht nicht
doch noch eine Name folgen würde. Ich möchte nicht mal in der Haut irgendeines
schwulen, muslimischen Athleten gesteckt haben, denn solche Enthüllungen sind sicherlich geeignet, dass in entsprechenden Delegationen ein Klima des Misstrauens
gesät, womöglich richtig Hatz auf vermeintliche Schwule gemacht wird.
All das
blendet Manuel Schubert aus. Er schließt seinen Kommentar ab mit der Hinweis, solange
Athleten nicht bereit wären, sich zu outen, „sollten sie im olympischen Dorf
besser keine Penisse auf Grindr suchen.“ Denn wenn ihre Hetero-Fassade
auffliege, stünden sie „auf der Weltbühne zukünftig als Lügner und Betrüger
da ... in einer Reihe mit Dopingsündern.“
Das ist nun starker Tobak und
wirklich völliger Bockmist. Gewiss, Doping und eine versteckte Homosexualität
eint der Aspekt der Unehrlichkeit. Doch bei dem einen betrügt man viele andere,
bei dem anderen betrügt man nur sich selbst. Das ist ein gehöriger Unterschied.
Und wie gesagt: Leider gibt es immer noch gute und mithin zwingende Gründe für
so einen Selbstbetrug. In manch einer homophoben Gesellschaft sind anonyme
Dating-Apps wie Grindr die einzige Chance, überhaupt zwischenmenschlichen
Kontakt herzustellen, und sei es auch nur zum Ausleben einer ansonsten völlig
unterdrückten Sexualität.
Ich kann
viele schwule Athleten gut verstehen, die ihre Homosexualität verstecken. Und natürlich
würde ich ihnen mehr Mut wünschen. Es ist toll, wenn Sportler sich outen, und
es gibt genug, denen es nicht geschadet hat. (Auch wenn ich mich wundere, dass
dieser Aspekt ihres Lebens von Sportreportern, die ja sonst jede Mutter im
Publikum, jede Freundin daheim und jede Hauskatze der Kindheit herbeifaseln,
einfach ignoriert wird. Dabei hätte man über den im Schubertschen Sinne vorbildlich offen schwulen
Wasserspringer Tom Daley zum Beispiel viel erzählen können.)
Immerhin:
Sogar Manuel Schubert gesteht Athleten das Recht zu, „selbst zu entscheiden,
zu welchem Zeitpunkt sie das öffentliche Bild von ihrer Person um den Aspekt
der sexuellen Orientierung vervollständigen“ (das Recht, ihn dauerhaft zu
verschweigen, gestattet er allerdings nicht), doch bis dahin „sollten sie im
olympischen Dorf besser keine Penisse auf Grindr suchen“. Sprich: Schwule
Sporter, die sich - aus welchen Gründen auch immer - für ein Leben im Schrank
entscheiden, sollen gefälligst die Tür des Schranks von innen abschließen. Das
ist schlicht menschenfeindlich.
Brasilien
ist ein liberales Land, in LGBT-Angelegenheiten recht fortschrittlich und
offen. Wer möchte es schwulen Athleten vergönnen, diese Offenheit auszuleben,
wo doch viele von ihnen aus Staaten kommen, in denen das nicht so ohne Weiteres
geht. Soll sagen: Ich gönne jedem Schwulen Athleten jeden Penis, den er in
diesen 16 Tagen auftreiben kann. Liebe schwule Sporter in Rio: Haltet eure
Penisse nicht bei euch, wie Manuel Schubert euch rät. Benutzt sie. Fickt, so
viel ihr könnt. Vögelt, als ginge es um Gold. Nutzt die Freiheit, die Rio euch
gibt, und genießt sie in vollen Zügen. Denn wer die Freiheit nie geschmeckt
hat, wird nie für sie eintreten.
(Volker Surmann)
(Volker Surmann)
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